Kaikaoss

Frühlingslicht Öl auf Leinwand 122x94,5cm
Zunächst geht es um das großformatige Bild hier an der gegenüberliegenden Wand. Grüne Blätter, die aus dem Nichts zu kommen scheinen, fliegen vor einem dunklen Grund. Auf der rechten Seite sieht man, überwiegend durch Rosen oder Dahlien verdeckt, hellbeleuchtet ein Pferd, schaut man etwas genauer hin, dann bemerkt man das Bein eines Reiters, das an der Seite herabhängt. Sucht man dann noch etwas genauer die Umgebung ab, dann stellt man fest, dass man zwischen Blättern, Blumen und intensiv blauem Tuch auch noch einen Teil des Gesichts und die beiden Hände finden kann.
Erst als ich bei der Erstbetrachtung soweit gekommen war, bemerkte ich das schmale helle Fenster oben links, das die Szene im Vordergrund beleuchtet. Und dann tauchten aus dem Dunkel auch noch Gesichter auf, die alles beobachteten. Man sieht sie nur in dem schwachen Lichtkegel, der von dem kleinen Fenster ausgeht.

Es war also nicht so, wie ich am Anfang gedacht hatte  – Blätter, Blumen, Pferd und Reiter können sich nicht im Freien befinden, alles ist in einen dunklen Raum eingeschlossen, der durch ein kleines Fenster sein Licht erhellt. Erst als ich soweit war, wurde mir auch klar, wo das alles spielt: Es muss eine Art Kino sein – durch das Fenster oben wird ein Film eingespielt, und die Köpfe im Dunkeln, die von uns nur schemenhaft gesehen werden können, sind die Besucher des Kinos. Das Pferd, der Reiter, die Blumen und die Blätter sind dagegen bloße Imaginationen, sie sind Teile des Films, der gezeigt wird.
Das Bild besteht also aus zwei unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen – auf der einen, der an sich ‚wirklicheren’ Ebene haben  wir einen dunklen Kinoraum mit Zuschauern und einem Fenster, durch das projiziert wird. Auf der zweiten Wirklichkeitsebene gibt es dann das, was sich im Vordergrund abspielt – und das ist der ‚Film’.
Zweierlei ist daran doch sehr erstaunlich – zum einen ist das die offensichtliche Tatsache, dass der ‚Film’ mit Pferd, Reiter usw. viel realer aussieht als die ‚Wirklichkeit’ des Zuschauerraums, dann aber auch, dass wir gewissermaßen von ‚hinten’ – oder mindestens von der Seite – auf den Film sehen. Die ‚Zuschauer’ in dem Raum müssten ja ein ganz anderes Bild wahrnehmen als wir.
Die Szene im Vordergrund hat darüber hinaus eine solch starke Präsenz, dass sie auch über den Lichtkegel hinausgeht. Sie hat gewissermaßen ein Eigenleben gewonnen, das sie unabhängig von dem Projektor macht. Mich hat das an einen Film von Woody Allen – The purple Rose of Cairo – erinnert, darin steigt ein Filmheld buchstäblich aus einem Film und geht in die ‚Wirklichkeit’. So erscheinen auch hier Pferd und Reiter – obwohl sie überwiegend von den Blumen verdeckt werden – realer als die nur schemenhaft sichtbaren Köpfe der Zuschauer.

Kaikaoss spielt hier also mit den unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen auf eine höchst gekonnte Art und Weise – mit Verstecken und Andeuten lässt er neue Wirklichkeiten entstehen.

Dr. Rainer Grimm

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