Afghanistan- Historia perpetua, Öl auf Leinwand, 200x145cm
Bei diesem Bild etwa - ‚Afghanistan- Historia perpetua‘ – (also immer wiederkehrende Geschichte) scheint der gesamte Hintergrund zunächst nur aus einem wilden Durcheinander von
Menschen zu bestehen. Auch die Dinge, die die Hauptfigur umgeben scheinen auf den ersten Blick eher zu-fällig dort zu sein. Schaut man aber genauer hin, erkennt man, dass es kla-re formale
Zuordnungen gibt. So steht die Hauptfigur in klaren Farben vor dem farblich getrübten aus unendlich vielen Menschen bestehendem Grund. Reine Farben tauchen noch an zwei anderen Stellen
–links am Rand in der Mitte und unten auf der Brüstung mit den beiden blauen Tü-chern auf. Der Blick wir hier also ganz bewusst von der Mitte der Figur nach links und dann nach unten und dann
wieder nach oben gelenkt. Solch ein Einsatz bewusster kompositorischer Mittel lässt sich an allen Bildern des Künstlers nachweisen – unser Blick wird ganz selbstverständlich durch ein Bild
geführt, ohne dass uns das normalerweise beim Betrachten be-wusst wird.
An diesem Bild lässt sich aber auch gut eine neue, eine sehr politische Tendenz in den Arbeiten von Kaikaoss erkennen. Auch ohne Kenntnis des Titels würde man sehen, dass es sich bei der
Darstellung ganz offensicht-lich um eine Darstellung seiner Heimat – eben Afghanistan handelt. Aber schauen wir uns das Bild im Einzelnen an.
Auf dem sehr hochformatigen Bild sitzt im oberen Bereich ein Mann auf ei-ner Art Thron – schaut man etwas genauer hin, sieht man allerdings, dass der Mann keinen Kopf hat. Dort wo dieser sein
müsste, ist eine leere Stelle – die Mütze oder Kappe (bei Google habe ich gelesen, dass sie ‚Pakol‘ heißt) sitzt allerdings so, als ob sie von einem Kopf getragen würde – man kann deutlich von
unten in sie hineinschauen.
Der Mann ohne Kopf trägt ein längsgestreiftes Gewand in leuchtendem Rot, Grün und Blau, darunter eine Art Hemd aus einem farbig grauen Stoff. Aus dem Halsausschnitt schauen zusammengedrehte
Papiere – vielleicht eine Art Zeitung hervor. Unten trägt er offensichtlich eine Samthose in ei-nem zarten Grauviolett. Alle Stoffe sehen sehr kostbar und weich aus.
Die nackten Füße stecken in Sandalen, die linke Hand ruht auf der Lehne des Sessels oder Throns, in der rechten Hand hält er einen Papierflieger zum Abflug – oder Wurf – bereit. Auf seinem
rechten Oberschenkel liegt ein Gefäß, dahinter eine Art Rolle aber vermutlich ebenfalls aus Metall, vor seinem Knie steht ein goldglänzender Schild. Daneben steht auf einem ein-fachen Schemel ein
altmodisches Telefon. Vermutlich handelt es sich bei diesem kopflosen Menschen um eine sehr bedeutende Persönlichkeit – er ist so etwas wie eine Art Herrscher.
Unterhalb und hinter dieser Hauptperson befindet sich eine fast unüber-schaubare Masse an Menschen - aber auch zwei Pferde sind zu erken-nen. Wie schon vorab gesagt, ist diese ‚Masse‘ in
sehr stark getrübten Far-ben gemalt, sodass man schon sehr genau hinschauen muss, wenn man Einzelheiten erkennen will.
Die Menschen dort scheinen unterschiedlichen Zeiten anzugehören – man sieht alte Helme- gar Pickelhauben , wie sie vielleicht frühere Kämpfer tru-gen. Der Reiter auf dem Pferd könnte gar ein
Ritter aus ganz früher Zeit sein. Es ragen Lanzen und Spieße auf, ein Mann hält sogar eine Sichel in der Hand. Es gibt dann links oben aber auch moderne Waffen wie Maschi-nenpistolen. Die Männer
im Vordergrund tragen über ihrer Schulter Muniti-onsgürtel. So wird auch der zweite Titel verständlich – ‚Historia Perpetua‘ – Afghanistan ist ein Land, in dem sich die schreckliche Geschichte
der Kämpfe immer wieder wiederholt.
Über die Figuren hinweg fliegen die Papierflugzeuge..... eine Bombe ist zu erkennen und – wenn ich das richtig sehe – eine alte Frau, links neben dem Schild, mit verhärmtem Gesicht, vielleicht
schreiend - vielleicht ist sie aber auch ein Bild des Todes. Sie erinnert an den ‚Schrei‘ von Munch.
Bis auf die Hauptfigur ist fast alles in unterschiedlich abgedunkelten Rot-tönen gemalt – nur das intensiv blaue Tuch links und der ganz im Vorder-grund auf der Brüstung liegende
Stoffausschnitt bilden eine Ausnahme. Wie schon vorab gesagt, stellen sie über die Masse der Menschen hinweg eine Verbildung zur zentralen Person dar.
Über dem ganzen menschlichen Gewimmel thront also der kopflose Präsi-dent – er sitzt majestätisch da, aber er befindet sich ganz offensichtlich auf einem sehr dünnen Grund. Seine Stellung ist
alles andere als sicher – da brauchen unten nur einige wenige Leute, die ihn jetzt noch tragen, wegzu-treten, dann wird er hinunterfallen und in der Masse aufgehen. Aber damit es dazu nicht
kommt, schickt er seine so leicht und harmlos aussehenden Flieger aus, gegen die die Menschen ‚unten‘ nichts ausrichten können.
Dr. Rainer Grimm